Countdown für Fairways und Greens

In Singapur müssen immer mehr Golfplätze dem Wohnungsbau weichen.

Wenn es Nacht wird in Singapur und Südostasiens pulsierendste Weltstadt ihre Festbeleuchtung einschaltet, wird eine Golfrunde im Marina Bay Golf Club zum sensationellen Großereignis für die Sinne. Als einziger Club der „Löwenstadt“ bietet Marina Bay dreimal wöchentlich Nachtgolfen bis halb elf an. Zahlreiche gut bestückte Scheinwerfermasten sorgen für gleißendes Flutlicht auf allen 18 Bahnen – fast so, als wäre der nächtliche Golfparcours der kleine Bruder des Formel-1-Nachtrennens, das seit 2008 jeweils im Herbst die Marina Bay Area gleich nebenan in ein strahlendes und laut dröhnendes Motodrom verwandelt.

In diesen Abendstunden, in denen die glitzernde Wolkenkratzer-Skyline ihre ganze verführerische Pracht entfaltet, ist der Golfplatz am Rande des ehemaligen Hafenbeckens im modernsten und bei Touristen angesagtesten Viertel der Fünfeinhalbmillionenstadt einfach „the place to be“. Von den ziemlich flachen, aber leicht welligen und exzellent gepflegten Fairways aus erscheinen das spektakuläre Marina Bay Sands Hotel, die in allen Farben des Regenbogens strahlenden Supertrees der Gardens by the Bay und das 165 Meter hohe Riesenrad „Singapore Flyer“ zum Greifen nah.

2024 läuft die Zeit ab

Tagsüber kann der Marina Bay GC freilich nur bedingt mit der lokalen Konkurrenz mithalten, die aus großteils Jahrzehnte alten, herrlich eingewachsenen Parklandplätzen besteht. Allerdings sind die etablierten, ja geradezu aristokratischen Golf & Country Clubs wie Orchid, Semabawang, Singapore Island, Laguna National oder Tanah Merah ausnahmslos privat und damit für Greenfee-Spieler ohne spezielles „Vitamin B“ nahezu unzugänglich. 

Schon deshalb möchte man dem einzigen echten Public Course Singapurs noch etliche Jahre üppigen tropischen Wachstums gönnen. Doch Zeit ist das, was der Marina Bay Golf Club am allerwenigsten hat. Richtig volljährig zu werden, ist dem 2006 entstandenen öffentlichen Golfplatz nicht vergönnt. 2024, das ist regierungsamtlich beschlossene Sache, ist definitiv Schluss mit Golfen in der Marina Bay.

Das Golfen vor der spektakulären Kulisse der Marina Bay Area endet 2024.

Hochhäuser statt Fairways

Mit dem Golfgelände hatte der Stadtstaat auf lange Sicht schon immer etwas ganz anderes vor: Bis 2024, so die Kalkulation von Singapurs Städtebauern, ist der Boden auf den durch Aufschüttungen dem Meer mühsam abgerungenen rund 80 Hektar Neuland, auf denen sich der Golfclub als vorübergehender Nutzer ausbreiten durfte, fest und stabil genug für den eigentlichen Verwendungszweck: Schon in wenigen Jahren werden auf den heutigen Fairways und Greens futuristische Hochhäuser in den Himmel wachsen – mit tausenden Wohnungen in einem komplett neuen Stadtteil. 

Aus für Jurong und Raffles

Leidtragender dieser Entscheidung auf höchster Ebene sind auch die Mitglieder eines der größten und ältesten Clubs im Land, des Singapore Island Country Club. Sie wurden teil­enteignet: Ausgerechnet der älteste der drei zu ihrem Club gehörenden Golfplätze, der aus dem Jahr 1924 stammende Bukit Course, wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2022 an zum öffentlichen Golfplatz erklärt und ersetzt als solcher demnächst auch den Marina Bay Course. Ein Beschluss, der im altehrwürdigen Clubhaus nicht gerade auf Begeisterung stieß. 

Dabei kam der Singapore Island Country Club quasi noch mit einem blauen Auge davon. Andere, nicht minder renommierte Golfclubs hatten weit weniger Glück. Als Ersten erwisch­te es Ende 2016 den Jurong Country Club im Südwesten des Inselstaats. Dort entstehen jetzt Wohn- und Bürogebäude im Rahmen des „Jurong Lake District Entwicklungsplans“. 

Am 31. Juli 2018 wurden im Raff­les Country Club, benannt nach dem Gründer Singapurs, dem Briten Sir Stamford Raff­les, die letzten Bälle geschlagen. Sogar zehn Jahre und drei Monate früher als ursprünglich von der Regierung angekündigt mussten die Golfer ihren beiden von Robert Trent Jones jr. designten Championship-Courses Farewell sagen und die 146 Hektar große Anlage ganz im Westen der Insel an die Singapore Land Authority, die staatliche Landbehörde, abtreten. Auch dort wird seither fleißig gebaut.

Karaoke statt Golf

Nicht besser erging es dem „Elder Statesman“ unter den bis vor wenigen Jahren noch 13 Golfanlagen Singapurs. Der Keppel Club, benannt nach dem Royal-Navy-Admiral Sir Henry Keppel, der anno 1832 nach Singapur gekommen war und erfolgreich Piraten in den umgebenden Gewässern bekämpft hatte, empfand sich nicht zu Unrecht als „the club with a heritage like no other“. Denn hier, ganz im Süden der Hauptinsel, am Ufer des Stadtteils Queens­town, stand im Jahr 1904 die Wiege des Golfsports in Singapur. Aber auch das ist nun ein abgeschlossenes Kapitel der Stadtgeschichte: Am Abend des 31. Dezember 2021 fiel auf dem 18. Grün des fast 120 Jahre alt gewordenen Golfplatzes der allerletzte Putt.

Wer heute die Website des Keppel Clubs anklickt, findet immer noch ein ziemlich breites Sportangebot, das im und am imposanten Clubhaus angeboten wird: Ein kleines Schwimmbad gibt es dort ebenso wie mehrere Tennisplätze, man kann Badminton oder Billard spielen und jeden Samstagnachmittag treffen sich die Ladies zur beliebten Karaoke-Session. Nur Golf steht nicht mehr auf dem Zettel. 

Auslaufende Leasing-Verträge bestimmen den Alltag der Einwohner Singapurs wie wohl in keinem anderen Land der Welt – und das betrifft so gut wie alle Lebensbereiche. Privates Immobilieneigentum beispielsweise – in etwa auf dem Preisniveau der teuersten europäischen Metropolen – fällt grundsätzlich nach 99 Jahren zurück an den Staat, private Autos nach spätestens zehn Jahren. Die Behörden lassen die Wagen dann verschrotten oder sie verkaufen sie ins benachbarte Ausland. Alle paar Tage verlassen mit alten Autos vollgeladene Frachtschiffe den gigantischen Hafen Singapurs in Richtung Indonesien, Malaysia oder Indien. Der Neben­effekt dieser drakonischen Methode: Singapur, das freilich auch über ein vorbildliches, sehr komfortables öffentliches Verkehrssys­tem verfügt, kennt kaum Verkehrsstaus und so gut wie keine Luftverschmutzung durch alte automobile Dreckschleudern.

Ablaufende Lease-Verträge

In der Logik derart strenger Limitierungen jeglichen Privatbesitzes ist auch die Nutzungsdauer für Golfplätze und andere Sportanlagen stets behördlicherseits begrenzt. Förmlich überall läuft ein Countdown ab in Richtung Zero. Hintergrund für die allenthalben spürbaren zeitlichen Limitierungen ist die permanente Platznot in Singapur. Sie ist das allgegenwärtige und stetig sich verstärkende Hauptproblem des Stadtstaates vor der Südspitze der malaysischen Halbinsel. Und das, obwohl Singapurs Territorium seit der Unabhängigkeit vor fast 60 Jahren beständig wächst. Damals, 1965, maß die zuvor zum britischen Kolonialreich gehörende Insel ziemlich genau 581 Quadratkilometer. 

Seither ist das Staatsgebiet auf rund 720 Quadratkilometer angewachsen. Und die Landgewinnung geht weiter: Unablässig wird an diversen Uferstellen das Meer Stück um Stück zurückgedrängt. Erdreich wird zum Teil vom Meeresboden selbst hochgebaggert, zum Teil herbeigekarrt von ein paar Hügeln im Inselinneren oder auch importiert aus den Nachbarländern Malaysia und Indonesien. Bis 2030 soll nach den Plänen der Regierung das Territorium auf gut 800 Quadratkilometer anwachsen.

Permanente Platznot

Doch selbst dann wird Singapur immer noch um gut 90 Quadratkilometer kleiner sein als das Stadtgebiet von Berlin; gleichzeitig zählt es jedoch rund zwei Millionen mehr Einwohner als die deutsche Hauptstadt. In dem allenthalben spürbaren, zunehmend dramatischer werdenden Verteilungskampf um Baugrund und Nutzungsflächen kann der raumgreifende Freizeitsport Golf zwangsläufig nur zu den Verlierern zählen. Singapurs Fairways geht es wie den Lemuren und Ameisenbären in den verbliebenen Mini-Dschungeln und Parks, die immerhin noch die Hälfte des Staatsgebietes ausmachen: Sie sind keine komplett vom Aussterben bedrohte Rasse, doch ihre Population wird mittelfristig weiter schrumpfen. So manche Prunkvilla – Singapur weist weltweit eine der höchsten Millionärsdichten auf – wird wohl demnächst ihren unbezahlbaren Ausblick auf die top-gepflegten Grünflächen eines benachbarten Golfplatzes einbüßen.

 Teile der beiden Country Clubs National Service Resort und Tanah Merah im Osten der Insel müssen Platz machen für Erweiterungspläne des unmittelbar benachbarten internationalen Flughafens Changi, einer der verkehrsreichsten Airports der Welt. Zwei weiteren Clubs im Nordwesten am Kranji Lake und dem Warren Golf Club am Peng Siang River droht das Aus im Herbst 2030. Bislang sind ihnen noch keine Verlängerungs-Optionen für ihre Land-Lease-Verträge angeboten worden.

Vertikal statt horizontal: Aus schierer Platznot wird in Singapur auch das Grün in die Höhe gestapelt.

Verlängerung ausgeschlossen

Keinerlei Hoffnung mehr machen dürfen sich die Mitglieder des Orchid Country Club im Norden der Insel, dessen Fairways sich derzeit noch ganz malerisch entlang eines schma­len Meeresarms, des Lower Seletar Reservoir, ausbreiten. Seine Galgenfrist läuft definitiv am 31. Dezember 2030 ab. In der gefürchteten regierungsamtlichen Liste der „Lease Expirations“, der auslaufenden Leasingverträge, steht in der Spalte für den Orchid Club  der gnadenlose Vermerk: „No new lease thereafter – Verlängerung ausgeschlossen!“

Von den einst 13 Golfanlagen Singapurs werden im nächsten Jahrzehnt noch maximal neun existieren. Und keine davon hat bis dato eine Bestandsgarantie über das Jahr 2040 hinaus. Die besten Chancen, längerfristig zu überleben, hat vermutlich der Sentosa Golf Club auf dem gleichnamigen, durch einen schmalen Meeresarm von der Hauptinsel getrennten Mini-Eiland. 

„Wenn Sie dieser Straße da rechts folgen und Sie sehen irgendwo einen weißen Rolls-Royce in der Einfahrt einer Villa stehen“, verrät uns der unaufhörlich plaudernde Taxifahrer, der uns nach Sentosa Island kutschiert, „dann haben Sie das Zuhause von Jackie Chan gefunden.“ Es ist nicht schwer zu erraten, weshalb sich der chinesische Filmstar ausgerechnet hier seinen Glaspalast bauen ließ – da, wo die Immobilienpreise jegliche Bodenhaftung verloren haben und kaum ein Haus unter 15 Millionen Euro kostet.

Gilt als einer der 100 besten Golfplätze der Welt: der Serapong Course auf Sentosa Island.

Splendid Isolation 

Zwar ist das gerade mal 500 Hektar große Sentosa als „Fun-Island“ bekannt, als eine Art asiatisches Disneyland voller Nervenkitzel-Attraktionen von Bungee-Jumping bis zu hydromagnetischen Achterbahnen, die Adrenalin-Junkies aus ganz Südostasien anlocken. Doch die komplette Osthälfte der Miniinsel bietet gediegene Abgeschiedenheit und „splendid isolation“ für einige hundert Superreiche – und für die Mitglieder und Gäste des Sentosa Golf Club mit den beiden Meisterschaftsplätzen Serapong und New Tanjong.

 Angesichts der strikten „Private members only“-Politik der meisten Golfclubs in Singapur würde man erwarten, dass das VIP-Refugium ähnlich hermetisch abgeriegelt wäre wie Amerikas Goldschatz in Fort Knox. Doch das Gegenteil ist der Fall: Den offiziellen Status seines Clubs bezeichnet der aus Jupiter in Florida stammende General Manager Andrew Johnston als „semi-private“. Sentosa gehört komplett dem Staat, und eine Nutzungsänderung  erscheint wenig wahrscheinlich. Zwar läuft der aktuelle Land-Lease-Vertrag für den Serapong-Kurs 2030 ab und der für den 2015/16 komplett neu gestalteten Tanjong-Platz hat 2040 als Enddatum. Aber Andrew Johnston hat keine Zweifel, dass auf Sentosa Island auch die nächste und die übernächste Golfergeneration noch ihrem Hobby frönen kann. Der Amerikaner wurde ursprünglich, vor fast 20 Jahren, als Golfplatzarchitekt verpflichtet, um den Serapong-Course neu zu gestalten. Mittlerweile hat Johnston, der sein Handwerk bei Altmeis­ter Arnold Palmer lernte, auch dem Tanjong-Kurs – der immer im Schatten des Serapong stand – eine höhere Qualitätsstufe verpasst. Sentosa ist, golferisch gesehen, nun quasi „Johnston Island“. Die Golfanlage auf der kleinen Insel bezeichnet sich ohne falsche Bescheidenheit als „Singapore’s best Golf Club“, und der wirklich formidable Serapong-Platz wurde schon mehrfach unter die „hundred greatest golf courses of the world“ gewählt.

Schön wie ein Pfau: Club-Signet des Sentosa Golf Clubs.
Spielwiese der Extraklasse: Sentosa Golf Club.
Der Hafen und die Hochhauskulisse Singapurs sind ganz nah: Serapong-Course auf Sentosa.

Tolle Plätze, stolze Preise

Das hat allerdings auch seinen Preis. Für eine Mitgliedschaft im Sentosa Golf Club etwa bezahlen in Singapur lebende Ausländer – immerhin ein gutes Drittel der rund 1500 Resident Members – stolze 280.000 Singapur-Dollar, gut 200.000 Euro. Und wer als Golftourist gegen Greenfee eine gepflegte Runde auf dem Serapong-Course drehen möchte, wird wochentags mit knapp 270 und an Wochenenden mit 360 Euro zur Kasse gebeten. Letztere Preisangabe ist freilich reine Theorie – denn selbst bei nachdrücklich empfohlener, mindestens zweiwöchiger Vorausbuchung sind Weekend-Tee-Times auf Sentosa so gut wie nie zu bekommen. 

Wer es lockerer und entspann­ter angehen und nicht soviel Geld ausgeben will, ist wohl doch auf dem Public Golf Course in der Marina Bay besser aufgehoben. Für rund 100 Euro kann man sich dort sogar das unvergessliche Nachtgolf-Erlebnis vor der spektakulären City-Kulisse gönnen. Nur beeilen muss man sich mit dem Flug nach Singapur. Denn der Countdown für die Fairways und Greens läuft unerbittlich. Ten-nine-eight-seven …

Medianachweis: Pixabay, Wolfgang Weber

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