Mit großer Spannung wurden die diesjährigen Golfbewerbe der Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris herbeigesehnt. Sowohl die Rückkehr des Golfsports ins Olympische Programm in Rio 2016 als auch die „Maskenspiele“ in Tokio 2020 gestalteten sich holprig. In Brasilien musste zunächst ein komplett neuer Golfplatz errichtet werden, dazu gesellte sich zur Austragung der Zika-Virus, der viele Topspieler von einer Teilnahme in Rio de Janeiro abhielt. Und ein weiterer Virus, der mittlerweile ominöse Corona-Virus, führte in Japan sogar zu einer Verschiebung der gesamten Olympischen Spiele von Tokio um ein Jahr. Der Kasumigaseki Country Club war als privater Golfplatz in der japanischen Präfektur Saitama dann auch alles andere als ein für die Zuschauer „greifbarer“ Platz. Doch Zuschauer waren ob der Corona-Pandemie ohnehin vor Ort nicht gestattet, was zu einer düsteren Atmosphäre beitrug.
Fast alle am Start
In Paris 2024 sollte nun alles anders werden. Die gesellschaftspolitischen Nachwehen der Corona-Pandemie sind großteils abgeklungen und es herrscht wieder allerorts so etwas wie Normalität. Und mit dem Le Golf National vor den Toren der französischen Hauptstadt stand nun ein Golfplatz parat, der zu den besten und arriviertesten in ganz Europa zählt. Der Albatros Course ist nicht nur jedes Jahr Schauplatz der Open de France, sondern war auch bereits Gastgeber des legendären Ryder Cups 2018. Und last but not least machten sich auch so gut wie alle Topspieler der Welt, soferne sie qualifiziert waren, auf die Reise nach Paris. Einzig der Australier Adam Scott, der seit jeher mit Olympia wenig anfangen kann, und der Österreicher Bernd Wiesberger zogen ihre Teilnahme, obwohl qualifiziert, zurück. Einer, der unbedingt spielen wollte, aber nicht durfte, war der Niederländer Joost Luiten. Obwohl er locker ins Feld der besten 60 Spieler für Olympia reingekommen wäre, verwehrte ihm das niederländische Olympische Komitee eine Teilnahme, weil sie ihm genauso wie Landsmann Darius van Driel und auf Damenseite Demi Weber keine Chance auf eine Medaille zutrauten. Luiten ging vor Gericht und klagte – mit Erfolg – seine Teilnahme ein. Doch mittlerweile hatte die International Golf Federation als Ausrichter der Olympischen Golfbewerbe in Einklang mit dem IOC seinen Platz bereits an den nächsten Spieler auf der Warteliste weitergegeben. „Ich kann die Olympischen Spiele und das IOC nicht mehr ernst nehmen“, schäumte Luiten. „Wenn sie sagen, dass es bei den Grundlagen der Olympischen Spiele um INTEGRITÄT, FAIRPLAY und RESPEKT geht, dann lügen Sie!“
Rahmbos Kollaps
Statt in Paris dabeizusein, verbrachte Joost Luiten deshalb die Zeit auf einer Finca auf Mallorca. Währenddessen versammelte sich die internationale Golfelite zum Showdown. Den Anfang machten die Herren, die im gewohnten 72-Loch-Zählwettspiel um Gold, Silber und Bronze ritterten. Das bunte Leaderboard versprach eine aufregende und spannungsgeladene Finalrunde. Auch Titelverteidiger Xander Schauffele (USA), der in diesem Jahr bereits zwei Majorsiege (PGA Championship und The Open) feiern konnte, mischte wieder ganz vorne mit und zählte zu den Favoriten auf Gold. Doch X erwischte einen rabenschwarzen Tag auf dem Albatros Course des Le Golf National und spielte am Ende nur noch eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zum Spanier Jon Rahm, der am Final-Sonntag praktisch schon die olympische Goldmedaille um den Hals hatte. „Rahmbo“ spielte sein bestes Golf seit seinem Sieg beim Masters vor einem Jahr und verließ das 10. Grün mit seinem sechsten Birdie der Runde, seinem fünften Ein-Putt in Folge, und lag damit vier Schläge vor dem Engländer Tommy Fleetwood und dem Japaner Hideki Matsuyama, während der Weltranglistenerste Scottie Scheffler (USA) sechs Schläge dahinter scheinbar abgeschlagen war. Es folgte ein spielerischer Kollaps von Rahm, den niemand kommen sah. Am letzten Loch schob er einen bedeutungslosen Par-Putt vorbei und notierte auf den Back Nine eine 39, wodurch er zwei Schläge von der Bronzemedaille entfernt war. „Ich habe nicht nur das Gefühl, mich selbst im Stich gelassen zu haben, sondern ganz Spanien“, war Rahm am Boden zerstört. „Es ist deutlich schmerzhafter, als ich es mir wünschen würde“, sagte Rahm, der der Misere auch Positives abzugewinnen versuchte „Ich glaube, dass ich durch die heutige Niederlage viel mehr Wertschätzung dafür bekomme, was mir dieses Turnier bedeutet, als wenn ich irgendeine Medaille gewonnen hätte“, sagte er. „Ich bekomme eine Vorstellung davon, wie viel es wirklich bedeutet hat. Es war mir eine große Ehre, Spanien bei vielen, vielen verschiedenen Events vertreten zu dürfen. Dass ich dieses hier nicht gewonnen habe, schmerzt ganz schön.“
Einmal mehr Scottie
Damit war der Weg frei für den Weltranglistenersten Scottie Scheffler, der einmal mehr seine Klasse unter Beweis stellte. Nach drei Runden beinahe schon außer Reichweite, schoss Scottie auf den Back Nine der Finalrunde eine schier unglaubliche 29 und egalisierte mit insgesamt 62 Schlägen den Platzrekord im Le Golf National. Damit setzte Scheffler mit 265 Schlägen (-19) die Richtmarke im Clubhaus. Einzig der europäische Ryder-Cup-Held Tommy Fleetwood hatte noch die Chance auf ein mögliches Gold-Stechen mit Scheffler, doch erwies sich das Bogey auf Loch 17 für den Engländer als fatal, fehlte am Ende doch ein einziger Schlag. Fleetwood freute sich dennoch auch über Silber, genauso wie der drittplatzierte Japaner Hideki Matsuyama, der einen weiteren Schlag dahinter mit Bronze belohnt wurde.
Ungewohnt emotional
Scheffler, der nach seinem siebten Sieg des Jahres die unangefochtene Nummer eins der Welt und für seine Coolness bekannt ist, wurde bei der Medaillenzeremonie von seinen Gefühlen überwältigt. Als die letzten Worte der US-Nationalhymne erklangen brach er in Tränen aus und zeigte der gesamten Golfwelt, welch Bedeutung er diesem Olympiasieg beimaß. „Ich denke nicht zu viel über mein Vermächtnis als Golfer nach“, sagte er, während er verlegen die Goldmedaille um seinen Hals zurechtrückte. „Das ist nicht wirklich etwas, was mir in den Sinn kommt. Ich liebe es, hier zu sein und an Wettkämpfen teilzunehmen. Es ist eine meiner liebsten Beschäftigungen auf der Welt und eine große Freude in meinem Leben. Es ist etwas, für das ich sehr hart arbeite. Ich bin stolz, hier mit einer Goldmedaille zu sitzen. Ich versuche, präsent zu bleiben und so hart wie möglich zu arbeiten und das Beste aus mir herauszuholen.“
Ausser Reichweite
Für die deutschsprachigen Golfer war es eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der am Ende keiner entscheidend um Edelmetall mitmischte. Die beiden Deutschen Stephan Jäger, der nach zwei Runden noch in Schlagdistanz zur Spitze lag, und Matti Schmid, die beide ihr Olympia-Debüt gaben, teilten sich am Ende bei -5 den 22. Platz. Österreichs Sepp Straka, der vor drei Jahren in Tokio nur einen Schlag hinter den Medaillenrängen blieb, verzeichnete auch in Paris einen guten Start. Der Austro-Ryder-Cupper fiel aber in der Folge zu weit zurück und musste sich bei -3 mit dem geteilten 35. Platz zufrieden geben.
Ladies übernehmen
Nachdem die Herren die Tribüne Le Golf National verließen, übernahmen die Damen das Zepter. Analog zu den Herren spielten auch die besten 60 Damen im Olympia Golf Ranking vier Tage lang auf dem Le Golf National um Edelmetall. Während Titelverteidigerin Nelly Korda (USA) es ihrem Landsmann Scottie Scheffler nicht gleichtun konnte, sorgte zunächst die französische Lokalmatadorin Céline Boutier für Furore. Doch nach der furiosen 65 zum Auftakt hatte die europäische Solheim-Cupperin ihr Pulver verschossen und war in der Folge auch kein Faktor mehr. Anders die Schweizerin Morgane Métraux, die sowohl nach Tag zwei als auch Tag drei das Feld anführte. Doch auch die 27-jährige Lausannerin musste ihren Nerven Tribut zollen und verließ Paris nach einer abschließenden 79 ohne Medaille.
Lydia im Goldrausch
Der Weg war also frei für die Olympia-Spezialistin Lydia Ko, die nach Silber in Rio und Bronze in Tokio nun endlich in Paris das ersehnte Gold holte und so ihre Medaillensammlung komplett machte. Die ehemalige Weltranglistenerste erfüllt mit dem Olympiasieg nun auch die Kriterien für die Aufnahme in die World Golf Hall of Fame. Entsprechend emotional war die 27-jährige Neuseeländerin, die so wie Scottie Scheffler beim Abspielen der Nationalhymne ihre Tränen nicht zurückhalten konnte. „Das wäre eine tolle Art, das zu erreichen“, sagte Ko, als sie gefragt wurde, was es bedeuten würde, sich am Samstag mit dem Gewinn einer Goldmedaille beim olympischen Golfwettbewerb der Damen einen Platz in einer der exklusivsten Halls of Fame des Sports zu sichern. Sie wusste nicht, dass diese Vorahnung am Ende der letzten Runde Wirklichkeit werden würde. „Ich wiederhole diese Worte“, sagte Ko über die Aufnahme in die Hall of Fame. „Das ist eine tolle Art, das zu erreichen. Man sagt solche Dinge, und bis es passiert, ist es nicht wirklich wahr. Dass es hier bei den Olympischen Spielen passiert ist, ist unwirklich. Ich fühle mich wie eine mythische Figur in einem Märchen. Es hätte wirklich nicht besser werden können, als ich es mir vorgestellt hatte, und ich habe in meiner bisherigen Karriere so viele tolle Dinge erlebt, und das ist wirklich die Krönung. Ehrlich gesagt hätte ich mir nichts Besseres wünschen können.“
Esthers Silbercoup
Und auch die deutschen Golffans hätten sich kaum mehr wünschen können als eine Medaille im Olympischen Golfturnier. Dass Esther Henseleit diese mit einer grandiosen Finalrunde wahr machte und am Ende mit der Silbermedaille um den Hals dastand, hätte kein Krimiautor besser hinbekommen. Mit sieben Schlägen Rückstand auf die Führenden war die Deutsche nur Außenseiterin im Rennen um die Medaillen im Le Golf National. Es gab nur eine Chance auf Edelmetall – sie musste die Runde ihres Lebens spielen. Und das tat sie. Henseleit beendete ihre Runde mit zwei aufeinanderfolgenden Birdies und brachte eine 66 (-6) ins Clubhaus und kletterte über Nacht vom 20. Platz auf Rang 2, gleichbedeutend mit der Silbermedaille. „Ich war heute so weit hinten“, blickte die 25-jährige Hamburgerin hinterher zurück. „Ich hatte einen großartigen Start und nach neun Löchern sah ich auf das Leaderboard und ich glaube, ich war auf Platz zwei und war total überrascht. Ich hatte am Anfang der Back Nine ein bisschen Mühe, aber ich schaffte einige großartige Pars und dann mit Birdie-Birdie abzuschließen, ist unglaublich.“
Märchen wird wahr
Esther Henseleit führte am Ende des Wettbewerbs das Feld in Birdies (22) an und ist die erste Europäerin der Neuzeit, die eine olympische Medaille im Golfwettbewerb gewann. Die Olympischen Spiele waren immer im Blickfeld. Henseleit setzte sich dieses Ziel vor acht Jahren, nachdem sie die Spiele von Rio im Fernsehen gesehen hatte. Jetzt spielt sie auf der LPGA-Tour und befindet sich mitten in der besten Saison ihrer Karriere, hat zwei Top-10-Platzierungen bei Majors eingefahren und elf von 16 Cuts geschafft – genug, um es nach Paris zu schaffen, genug, um das Märchen Olympia wahr werden zu lassen.
Freund, Coach, Caddie
In der Stadt der Liebe Paris vollendete sich für Esther Henseleit ein sportlicher Traum, den sie mit ihrem Verlobten Reece Phillips teilen konnte. Der ist nämlich nicht nur ihr Lebenspartner, sondern auch Schwungcoach und Caddie. Henseleit betonte nach ihrem Silbercoup, wie wichtig die Doppelrolle ihres Partners sei. „Es hilft auf jeden Fall, wenn man jemanden an der Tasche hat, der einen so gut kennt und weiß, was er in welchen Momenten sagen muss“, sagte sie über ihren Wegbegleiter, mit dem sie in Scottsdale, Arizona, lebt. Vor über drei Jahren begann die gemeinsame Reise. Sie lernten sich kennen, verbrachten viel Zeit miteinander, verliebten sich und trieben die Golfkarriere voran – die Hochzeit soll im kommenden Sommer folgen. Ein echtes Happy End der Olympischen Spiele in Paris!
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