Am Masters-Sonntag warteten die Patrons, wie die Fans im Augusta National genannt werden, gespannt auf das große Finale des ersten Majors des Jahres. Nach drei herausfordernden, stürmischen Tagen, brachten sich die besten Ballstriker der Welt in Stellung. Bei nun endlich perfekten Bedingungen stand einem epochalen Schlagabtausch eigentlich nichts mehr im Wege. Doch am Ende wurde es die Machtdemonstration eines Golfspielers mit einem historischen Lauf, der auf den Back Nine keine Lust mehr hatte, Spannung aufkommen zu lassen. Scottie Scheffler, die unangefochtene Nummer eins der Golfwelt, ging nach seinen Siegen in Bay Hill und bei der Players Championship als klarer Favorit in die 88. Auflage des Masters. Nach verhaltenem Start ins Turnier übernahm der 27-jährige Texaner gegen Ende der dritten Runde erstmals die Führung und ging mit einem Schlag Vorsprung auf die Konkurrenz in die Finalrunde. Auf den Front Nine am Final-Sonntag hielten Collin Morikawa, Max Homa und Ludvig Åberg das Rennen noch offen, doch ab Loch 8 kam der Scheffler-Express so richtig in Fahrt. Mit einem Birdie-Birdie-Birdie-Knockout zog Scottie davon und ließ auf den Löchern 13, 14 und 16 weitere Birdies folgen, während seine Kollegen ins Ziel taumelten.
Sensations-Debüt
Einzig der schwedische Shootingstar Ludvig Åberg, der nicht nur sein erstes Masters, sondern gleichzeitig auch erstes Major-Turnier bestritt, konnte halbwegs Schritt halten. Der zweite Platz von Åberg bei einem Gesamtscore von 7-unter-Par wird mit Sicherheit nicht die letzte Top-Platzierung des 24-jährigen Schweden bleiben. Vielmehr scheint es eher eine Frage der Zeit, bis „Ludde“ seinen ersten Major-Titel feiern wird. Doch am Ende war gegen den groß aufspielenden Scottie Scheffler kein Kraut gewachsen. Mit einer 68 (-4) am Sonntag, der zweitbesten Runde aller Spieler im Feld, und einem Gesamtscore von 11-unter-Par cruiste Scheffler zu seinem zweiten grünen Jackett nach 2022. Der Sieg im Augusta National war historisch. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben nur Tiger Woods, Jack Nicklaus und Seve Ballesteros im Alter von 27 Jahren zwei Masters-Titel gewonnen. Scheffler steht nun auf dieser Shortlist und er wird auch bei den nächsten drei Majors in diesem Jahr der unbestrittene Favorit sein. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es geradezu fahrlässig, nicht auf ihn zu setzen.
Historischer Lauf
Die Nr. 1 der Welt hat seit dem 1. März lediglich gegen einen Golfer verloren (Deutschlands Stephan Jäger bei den Houston Open) und drei seiner letzten vier Events gewonnen. Genauer gesagt sogar vier seiner letzten fünf Events, denn in der Woche nach dem Masters gewann Scheffler auch noch als Draufgabe den Signature Event der PGA Tour, die RBC Heritage. Subjektiv gesehen stellt Scheffler für seine Mitspieler sogar noch ein größeres Problem dar, weil er in beinahe allen Statistiken die Nase vorn hat. Und er zählt zu den besten Spielern in puncto Course-Management. Er hat mehr mentale und emotionale Kontrolle über das, was er auf dem Platz tut, als jeder andere auf der Welt. Als er unter stehenden Ovationen der Fans auf das 18. Grün schritt, vergaß er sogar, seine Kappe abzunehmen, da er immer noch komplett „in the zone“ war und erst den Sieg in trockene Tücher bringen wollte. Seine hochschwangere Frau Meredith, die in Kürze deren erstes gemeinsames Kind gebären wird, konnte dieses Mal nicht persönlich vor Ort sein und so war auch bei der Sieger-Pressekonferenz Scotties einziger Gedanke, möglichst schnell nach Hause zu kommen: „Ich denke nicht an das Turnier. Ich denke nicht an das grüne Jackett. Ich wünschte, ich könnte das ein bisschen mehr in mich aufsaugen. Aber vielleicht werde ich das heute Abend schaffen, wenn ich endlich zu Hause bin.“
Zur Ehre Gottes
Im Gegensatz zu den meisten anderen Golfern lebt Scheffler sein Leben großteils „offline“. Er hat auch nicht viel über den bevorstehenden Deal der PGA Tour mit dem Public Investment Fund Saudi-Arabiens gesprochen und er distanziert sich generell von jeglichem Drama. Er scheint an nichts anderem interessiert zu sein, als das beste Golf zu spielen, das man je gesehen hat, und sich gleichzeitig um seine Familie und Freunde zu kümmern. Scheffler lässt sich von seinem christlichen Glauben leiten, den er immer lauter zum Ausdruck bringt. Er sprach vor Turnierbeginn darüber, dass ihn nicht sein Golfergebnis oder sein Erfolg definieren, sondern sein Glaube. Im Gegensatz zu der Kontrolle, die er während Turnieren über sein Spiel und seine Emotionen ausübt, scheint er die Kontrolle über alles andere auf und neben dem Platz abgegeben zu haben. „Ich glaube, dass die heutigen Pläne bereits vor vielen Jahren festgelegt wurden, und ich konnte nichts tun, um diese Pläne zu vermasseln“, so Scheffler. „Mir wurde dieses Talent geschenkt, und ich nutze es zur Ehre Gottes.“
Religion als Identität
Scottie Scheffler reiht sich nahtlos in die lange Liste der neugeborenen Christen ein, die auf der PGA Tour in Bibelrunden ihrem Glauben freien Lauf lassen. „Ich habe heute Morgen mit meinen Kumpels rumgesessen, ich war ein bisschen überwältigt“, sagte Scheffler am Sonntagabend. „Ich sagte ihnen: ‚Ich wünschte, ich würde nicht so sehr gewinnen wollen.‘ Ich denke, es würde den Morgen einfacher machen. Ich liebe es, zu gewinnen. Ich hasse es, zu verlieren. Und meine Freunde haben mir heute Morgen gesagt, dass mein Sieg am Kreuz sicher sei. Und es ist ein ganz besonderes Gefühl zu wissen, dass ich für immer sicher bin und es keine Rolle spielt, ob ich dieses Turnier gewinne oder verliere. Meine Identität ist für immer sicher.“
Was für weniger religiöse Menschen vielleicht ein wenig befremdlich klingen mag, nutzt Scheffler zu seinem Vorteil. Die Freiheit, die sein Glaube bietet – die es ihm ermöglicht, in sich selbst sicher zu sein und zu wissen, dass er nur jede Woche sein Bestes geben muss –, ist eine Eigenschaft, die professionelle Golfer durch unzählige psychologische Tricks, Trainer und Techniken erreichen wollen. Dass dieses Glaubenssystem im aktuell besten Spieler der Welt implantiert ist, ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum er der beste Spieler der Welt ist.
Scheffler hat bewiesen, dass er alle Talente hat. Die Dinge, die jedoch meist den Ausschlag geben sind die Emotionen, die mentale Stärke und das Selbstvertrauen. Es ist nicht so, dass Scheffler in diesen Bereichen niemals Probleme haben wird. Jeder hat sie. Es geht vielmehr darum, dass solche Hindernisse ihn nicht schwächen, wenn sie seinen Weg kreuzen. In einem Sport, den das unermüdliche Streben nach mehr Siegen, mehr Geld, mehr Ruhm vorantreibt, ist seine Weltanschauung der Zufriedenheit als Christ, als Ehemann und als zukünftiger Vater ein Geschenk. Es ist schwierig, die richtige Balance zu finden, aber wenn ein Elite- Golfer – vor allem einer, der so konkurrenzfähig ist wie Scheffler – abseits des Platzes Zufriedenheit findet, ist das für alle anderen, die ihn vom Thron stoßen wollen, eine wirklich beängstigende Angelegenheit.
Neuer Tiger-Rekord
Schefflers aktuelle Dominanz erinnert in Ansätzen bereits an jene von Tiger Woods, der auf seinem Weg zu 15 Major-Titeln die Golfwelt auf den Kopf stellte. Aktuell müht sich der Altmeister mit seinen 48 Jahren und einem geschundenen Körper nur noch sporadisch über die Fairways. Das Masters wollte sich Woods aber dann doch nicht entgehen lassen. Und der für viele beste Golfer aller Zeiten schaffte erneut einen Eintrag in die Rekordbücher. Mit dem geschafften Cut gelang Tiger der 24. Cut in Folge im Augusta National, eine Marke, die kein Golfer vor ihm erreichte.
Am Masters-Wochenende ging dann aber nicht mehr viel und Woods musste sich bei 18-über- Par mit dem 60. Platz, gleichbedeutend mit dem letzten Platz unter den Spielern im Geld, zufrieden geben. „Es war dennoch eine gute Woche. Ich habe seit langem wieder ein ganzes Turnier gespielt“, so Woods im Anschluss an seine Finalrunde, die er mit dem Low Amateur Neal Shipley bestritt. „Donnerstag und Freitag habe ich gut gekämpft. Gestern hat es dann leider nicht so geklappt, wie ich es wollte.“
Straka vorne dabei
Ein Wort auch noch zu den beiden deutschsprachigen Spielern im Feld. Während der Deutsche Stephan Jäger, der sich erst zwei Wochen zuvor mit dem Sieg in Houston für das Masters qualifizierte, bei seinem Debüt an den ersten beiden Tagen sprichwörtlich „vom Winde verweht“ wurde und den Cut verpasste, schaffte der Österreicher Sepp Straka bei seinem dritten Augusta-Antritt in Folge mit dem geteilten 16. Platz seine bislang beste Platzierung.
„Ich bin sehr zufrieden mit der Woche. Mein Spiel ist in wirklich gutem Zustand“, erklärte Straka. „Leider war das Putten diese Woche nicht so gut, das kann sich aber schnell ändern und ich werde hart daran arbeiten.“
Gelebte Traditionen
Das Masters war auch in diesem Jahr wieder ein Ereignis, das weit mehr als das Turnier selbst umfasste. Den Auftakt gaben auch in diesem Jahr bereits am Samstag zuvor die besten Amateur-Golferinnen der Welt, die ihre Finalrunde des Augusta National Women’s Amateur auf dem heiligen Rasen des Augusta National absolvieren durften. Die Engländerin Lottie Woad gewann die mittlerweile bereits fünfte Auflage des Events, das sich immer mehr zu einem Fixpunkt des Damengolfs entwickelt.
Tags darauf kamen dann die Junioren zum Zug. Der Drive Chip und Putt-Contest, der für Kids im Alter zwischen sieben und 15 Jahren offen steht, feierte in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Und mit Akshay Bhatia, dem Sieger der Valero Texas Open, konnte sich in diesem Jahr erstmals ein ehemaliger Teilnehmer des Drive Chip und Putt-Wettbewerbs (er war vor zehn Jahren bei der Premiere mit dabei) für das „große“ Turnier qualifizieren.
Eine langjährige Tradition des Masters ist das Champions Dinner, das immer am Dienstag der Turnierwoche stattfindet. In diesem Jahr stellte Titelverteidiger Jon Rahm ein Menü zusam- men, das wenig überraschend an Rahms Heimatland Spanien angelehnt war. Unter anderem fand sich auf dem Menü auch das Gericht „Lentejas Estofodas“, welches als „Mama Rahms klassischer Linseneintopf“ beschrieben wurde. Das Dinner, bei dem nur ehemalige Masters-Sieger geladen sind, kam ohne Friktionen zwischen den PGA-Tour- und LIV-Golf-Akteuren aus. Vielmehr wurde den beiden ehemaligen Champions, Spaniens Golflegende Seve Ballesteros und Jackie Burke Jr., der vor wenigen Wochen im Alter von 100 Jahren verstarb, die Ehre erwiesen.
Am Mittwoch stand auf dem Par-3-Platz des Augusta National der Par-3-Contest auf dem Programm. Dieser ist mittlerweile ein geselliges Familientreffen, wo die Spieler gerne ihre Ehefrauen und Kinder mit auf den Platz nehmen, bevor es tags darauf mit dem Turnier so richtig losgeht. Der Fluch des Par-3-Contests hielt auch in diesem Jahr an. Noch nie in der Geschichte konnte ein Sieger des Par-3-Wettbewerbs, auch nicht Rickie Fowler in diesem Jahr, gleichzeitig auch das Masters gewinnen.
Medianachweis: Sportscomm/Getty Images, Augusta National