Arktische Notlösungen

Golfen auf Grönland – geht das überhaupt? Die eindeutige Antwort lautet: Jein! 

In Nuuk, der knapp 20.000 Einwohner zählenden Hauptstadt der größten Insel der Welt, gibt es den einzigen grönländischen Golfplatz – mit neun Bahnen, die sich allerdings sieben eng bemessene Fairways mit importiertem Rollrasen teilen müssen. Ja, auf Grönland wird also Golf gespielt, allerdings unter – in mehrfacher Hinsicht – krass verschärften arktischen Bedingungen. Wir waren dort …

Eigentlich müsste am 1. Abschlag, gleich vor dem Clubhaus, ein Warnschild stehen: „Vorsicht vor Querschlägern und Gegenverkehr“ – am bes­ten dreisprachig, auf Kalaallisut (Grönländisch), Dänisch und Englisch. Denn, wie hatte doch Clubmeisterin Maria Kruuse vor der Runde gewarnt? „Du musst hier pfeilgerade spielen. Denn wenn du das Fairway nicht triffst, spielt der Ball auf dem felsigen Untergrund Tisch­tennis.“

Wie ernst diese Warnung zu nehmen ist, zeigt sich schon an Loch 2: Der etwas verunglückte Abschlag von Daniel­ Thorleifsen hat zu wenig Höhe, um das hinter einer abgeflachten ­Granitkuppe nicht einsehbare schmale Fairway der Par-4-Bahn zu erreichen. Der Ball prallt von einer Felskante ab, springt links weg und vollführt dann zwischen teils nackten, teils mit etwas Moos und Flechten bewachsenen Granitplatten noch ein kurzes, aber heftiges Pingpongspiel, ehe er, gerade noch spielbar, auf einer kleinen Moosfläche inmitten der Felsen zum Liegen kommt. Mitspielerin Susanne Bisgaard Rasmussen, die schon nach vorne geeilt war, um den Ballflug von einem erhöhten Standort aus zu beobachten, duckt sich nach dem lauten „Fore!“-Ruf Daniels und hat Glück, von keinem Querschläger getroffen zu werden. 

Daniel Thorleifsen ist Direktor des Grönländischen National­museums und leidenschaftlicher Hobbygolfer.

Achtung, Gegenverkehr!

Golfregel-Puristen mögen fragen, was die Flightpartnerin da vorne, quasi in der Schusslinie, zu suchen hatte. Doch diese Frage kann nur jemand stellen, der den Golfplatz von Nuuk auf Grönland noch nie gesehen hat. Ohne risikobereite „Späher“ geht auf diesem „unorthodoxen“ 9-Löcher-Kurs gar nichts. Etwa jeder zweite Abschlag erfolgt „blind“; die Fairways sind winzige grüne Oasen in einer kargen, unübersichtlichen Felslandschaft; und lediglich fünf Bahnen sind, wie weltweit auf Golfkursen üblich, „Einbahnstraßen“. 

Auf dem Fairway der 9, der einzigen Par-5-Bahn des Platzes (wenn auch nur, von Gelb, 392 Meter lang), könnten einem die Abschläge der gegenläufigen Bahn 2 um die Ohren fliegen, falls niemand von höherer Warte aus den partiellen „Gegenverkehr“ im Auge hätte, um notfalls zu warnen; auf der östlichen Seite der Anlage haben sich die Flights auf den Bahnen 5 und 6 zumindest gegenseitig im Blick, wenn sie ein und dasselbe Fairway aus entgegengesetzten Richtungen anspielen. Das alles ist sicherlich nicht optimal, aber ein besseres Layout ließ das schwierige Gelände einfach nicht zu. Golf auf Grönland ist wahrlich kein Sport für „Warmduscher“ mit schwachem Nervenkostüm. 

Eine Zangengeburt

Der Golfplatz liegt am östlichen Stadtrand, gleich neben dem kleinen Flugplatz von Nuuk,
der sich etwas hochtrabend „International Airport“ nennt, weil hier ein paarmal pro Woche eine Turboprop-Maschine der Icelandair aus Reykjavík landet. 

Der Bau des Golfplatzes in den Jahren 1999 und 2000 war, bei Licht betrachtet, eine echte Zangengeburt. Um der unwirtlichen Felslandschaft in Sichtweite des auch im Hochsommer mit zahlreichen kleinen Eisbergen gespickten Nuuk-Fjords überhaupt einen halbwegs spielbaren Golfplatz abringen zu können, mussten erst 2000 Kubikmeter Mulch und Mutterboden in Containern aus Dänemark nach Nuuk verschifft werden. 

Mutterboden aus Dänemark, Grassoden aus Island

Mit knapp 2,2 Millionen Quadratkilometern ist Grönland gut sechsmal so groß wie Deutschland bzw. knapp 25-mal so groß wie Österreich. Zu über 80 Prozent ist die größte Insel der Welt von einem bis zu drei Kilometer dicken Eisschild bedeckt. In den während der kurzen Sommer eisfreien Küs­tenregionen gedeiht lediglich eine karge Tundra-Vegetation. Mit anderen Worten: Außer ein paar seltenen Zwergbirken, Krähen- und Heidelbeeren sowie Moor- und Heidepflanzen wächst auf Grönland so gut wie kein Baum, kein Strauch – und auch kein Gras. Deshalb wurden für die notgedrungen eng bemessenen Fairways rund 45.000 Quadratmeter Grassoden­ aus Island importiert. 

Die übrigens benötigen in der kurzen, nur von Juni bis September dauernden Outdoor-Golfsaison an Grönlands Westküste viel Pflege: Was die Pflanzen im mehr oder weniger acht Monate langen, eisigen und dunklen Winter quasi verschlafen, holen sie im kurzen Sommer, in dem die Sonne kaum untergeht, mit extrem schnellem Wachstum nach – viel Arbeit also für die Greenkeeper. 

Bunte Häuser sind typisch für die Orte auf Grönland.

Golfsimulatoren im Hotelkeller

Erstmals gespielt werden konnte auf dem mehr oder weniger importierten Golfplatz am Rande der Hauptstadt im August 2000. Dabei war der Nuuk Golfklub bereits 1992 gegründet worden. Die Spielstätte der grönländischen Golfer in den Anfangsjahren? Eine – im besten Sinne – arktische Notlösung: zwei Golfsimulatoren im Kellergeschoß des Hotels Hans Egede im Stadtzentrum. 

Das größte und komfortabelste Hotel von Nuuk trägt den Namen des „Apostels der Grönländer“ aus dem 18. Jahrhundert ebenso wie eine ganze Bergregion im Nordosten Grönlands, eine Kirche in Kopenhagen und sogar ein Mondkrater auf unserem bei den Inuit (oder Eskimos) einst ebenso verehrten wie gefürchteten Erdtrabanten. Unter den gut 56.000 Grönländern ist „Egede“ bis heute einer der häufigsten Familiennamen; der aktuell in Nuuk regierende Premierminister heißt Múte Bourup Egede.

Jedes Schulkind hier kennt die Geschichte des von den norwegischen Lofoten stammenden lutherischen Pastors, der sich im 18. Jahrhundert die Missionierung der heidnischen Inuit  zur Lebensaufgabe machte. Indem er am 3. Juli 1721 mit dem Segelschiff „Habet“ (Hoffnung) – und in Begleitung seiner Frau Gertrud, ihrer vier Kinder und drei Dutzend weiterer Abenteurer im Namen des Herrn und des dänischen Königs – ganz in der Nähe des heutigen Nuuk vor Anker ging und eine erste Missions- und Handelsstation gründete, wurde Grönland zur dänischen Kolonie. Bis heute versteht sich die riesige Insel mit der Minibevölkerung als politisch selbstverwalteter ­Bestandteil des Königsreichs Dänemark, mit Königin Margrethe als Staatsoberhaupt.

Hans Egede hat Grönlands Geschichte beeinflusst wie kein Zweiter – seit über 100 Jahren steht seine Bronzestatue auf einem Hügel über Nuuk.

“Unseren täglichen Seehund gib uns Heute”

Die seit drei Jahrhunderten andauernde Bindung ans 3.500 Kilometer entfernte Kopenhagen gilt ebenso als das Erbe Hans Egedes wie die Tatsache, dass Grönlands Bevölkerung heute zu nahezu 100 Prozent dem evangelisch-lutherischen Glauben angehört – und das, obwohl es im 18. Jahrhundert alles andere als einfach war, die christliche Heilsbotschaft in die von Schamanen und ­allerlei bösen Geistern geprägte Vorstellungswelt der Inuit zu implantieren. Wie zum Beispiel übersetzt man das Vaterunser­ für Menschen, die kein Getreide und somit auch kein Brot kennen? Hans Egede erwies sich als gedanklich und lingual sehr geschmeidig und entschied sich für die Formulierung „Unseren täglichen Seehund gib uns ­heute“. 

Kaum einen Driverschlag entfernt von der überlebensgroßen Bronzestatue von Hans Egede, die seit über 100 Jahren von einem Hügel hoch über der Altstadt den alten Kolonialhafen von Nuuk überblickt, stehen am „Hans Egedesvej“ die teils historischen, teils modernen Gebäude des Grönländischen ­Nationalmuseums und -archivs.­ Dies ist der Arbeitsplatz unseres Flightpartners Daniel Thorleifsen. Er leitet das Museum, einen der größten Touristenmagneten Grönlands, seit 2005 als Direktor.

Und das Finale auf dem Ryder-Cup-Platz

Zweimal die Woche, sagt Daniel Thorleifsen, fröne er dem Golfsport, den er vor sieben Jahren für sich entdeckte, als Ausgleich zum stressigen Job als Museumsdirektor: Immer donnerstags trifft er sich mit Freunden zu einer Männer­runde auf dem Golfplatz, und am Sonntag ist er, sooft es geht, Stammspieler beim allwöchentlichen Clubturnier. Noch ein wenig fleißiger betreibt die vor etlichen Jahren der Liebe wegen aus dem dänischen Odense nach Nuuk gezogene Maria Kruuse ihren Sport. In Dänemark einst als Klinikassistentin tätig, arbeitet sie jetzt als Akupunkteurin, unterrichtet in einem Fitnessstudio Zumba und Salsation – und hat kürzlich, bereits zum dritten Mal in Folge, die Damen-Clubmeisterschaft gewonnen und dabei ihr Handicap auf 18,7 verbessert. 

Und was passiert golferisch in der „dunklen Jahreszeit“ von Oktober bis Mai? Dann spielen der Inuk (Einzahl von Inuit) Daniel Thorleifsen, die Dänin Maria Kruuse und die anderen 140 Mitglieder des Nuuk Golfklub abwechselnd auf den schönsten Golfplätzen Amerikas, Europas oder Asiens – auf den beiden vielleicht meistgenutzten Trackman-Simulatoren der Welt im kleinen, aber gemütlich eingerichteten Clubhaus am Rande des Eisfjords. 

Im nächsten April wird mithilfe der Simulatoren dann wieder, an drei aufeinanderfolgenden Tagen, die grönländische ­Winter-Golfmeisterschaft ausgespielt. Bei der vergangenen fand die Qualifikation im Portland Golf Club in Oregon und die erste Runde  auf dem
Spyglass Hill Golf Course in Pebble Beach statt. Und das ­Finale stieg – voller Vorfreude auf das golferische Großereignis des Jahres 2023 – im Marco Simone Golf Club nahe Rom. Die Grönländer mögen weder richtig zu Europa noch zu Amerika gehören. Aber wer sagt, dass sie nicht Ryder Cup können?

Die ganze Geschichte erzählt die neueste Episode des Golfreise-Podcast www.ever-greens.de

Medianachweis: Pixabay, Wolfgang Weber

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